Zeitzeichen am Samstagmorgen – Lebensreise-

img_2751Heute Morgen habe ich mich dabei ertappt, wie ich mein Spiegelbild genauer betrachtete. Ich wendete meinen Kopf von rechts nach links, griff an meine Wangen, zeichnete die Falten um meine Augen nach, berührte die gekräuselten Lippenränder und sah die tiefen Lebenslinien, die meine Mundwinkel prägen. Meine runzlige Haut am Hals zog ich glatt. Ich strich mit den Fingern durch mein  wasser-stoffblondes Haar und schob es nach hinten.
Nein, zwanzig bin ich wirklich nicht mehr.
Nächste Woche werde ich in meine kleine Heimatstadt fahren. Was mich dort erwartet, bewegt mich.
„Klassentreffen“ steht auf der Einladung.
Ich werde Frauen und Männern begegnen, mit denen ich vor Jahrzehnten zusammen angetreten war, den Zahlen- und Buchstabenwirrwarr in unseren Fibeln zu entflechten, Worte daraus entstehen zu lassen, um unsere eigene Geschichte schreiben zu können.
„Wohin soll denn die Reise gehen?“, dieses Lied aus unseren Kindertagen will mir, seit ich die Einladung erhalten habe, nicht aus dem Kopf.
Ich fühle mich, wenn ich an unser Wiedersehen denke, wie vor einer Klassenarbeit, in der ich nachweisen musste, was ich gelernt hatte. Nur geht es diesmal nicht um die Quadratwurzel, Goethe oder die Photosynthese, sondern darum, dass jedes Gespräch, das mich auf dem Klassentreffen erwartet, irgendwie Zeugnis darüber ablegen wird, was ich von meiner Lebensreise mitgebracht habe, was sie aus mir gemacht hat und wer ich geworden bin.
Plötzlich spielte mein Äußeres keine Rolle mehr. Der Spiegel war neu justiert, auf mein Inneres.
Nein, ich habe damals nicht gewusst, wohin mich meine Reise führen würde.
Ich stand in meinem Badezimmer, 500 Kilometer entfernt von meiner ehemaligen Heimat. Konrad rief von unten: „Wann kommst du endlich? Frühstück steht auf dem Tisch.“
Ich blickte noch einmal in das Gesicht im Spiegel vor mir. Ungeschminkt sah ich mich selbst und musste lachen. Es tat gut, was ich erkannte.
Ich habe mich nie verloren. Das kleine Mädchen von damals mit der Schultüte im Arm sang ihre eigene Melodie und begleitet mich in meinen Herzen auf Lebenszeit.
Das macht mich glücklich.

Was bewegt Dich, wenn Du an Dein nächstes Klassentreffen denkst?

Ich wünsche Dir gute Gedanken in einer bewegten Zeit.